Zum Soundtrack des Urwalds
von Patricia Bröhm
Wer Bali direkt und ungehübscht erleben will, muss mit einem VW-Kübelwagen durch den Dschungel. Klimaanlage und Sicherheitsgurte sind eher etwas für den deutschen Feierabendverkehr.
Der Dschungel hat seine eigene Geräuschkulisse. Trällernde Urwaldvögel, kreischende Affen, zirpende Heuschrecken. In den Klangteppich webt sich das Dröhnen des Geländewagens. Doch plötzlich kommt ein neuer Ton dazu, eine Art rhythmisches Scheppern. Gery stoppt den Wagen und steigt aus. Beim Anblick des linken Hinterreifens unterdrückt er einen Fluch. "Klassischer Geweberiss", konstatiert er. Er öffnet die Frontklappe, holt Schraubenschlüssel und Reserverad heraus und macht sich an die Arbeit. Die Dorfkinder genießen die willkommene Abwechslung. Es ist nicht ganz klar, wer die größere Attraktion darstellt, die Besucher aus Germany oder die alten VW-Kübelwagen, mit denen sie unterwegs sind.
Für den Österreicher Gery Nutz, der seit 20 Jahren auf Bali lebt, ist der Reifenwechsel Routine. Als 18-Jähriger fuhr er mit ein paar Freunden und einem alten 2CV vier Monate durch Afghanistan. Seither ließ ihn der Asien-Virus nicht mehr los. In Indien handelte er mit Schmuck, auf Bali verdingte er sich als Reiseleiter. Vor fünf Jahren machte er sich selbstständig. Mit einer Geschäftsidee, die seine Liebe für alte Autos mit seiner Leidenschaft für Land und Leute auf der indonesischen Ferieninsel kombiniert. Per VW-Kübelwagen, Baujahr 1976, fährt er Besucher ins wenig besiedelte, touristisch kaum erschlossene Hinterland. Die Autos sind, seit 1981 die Produktion des VW-Käfers eingestellt wurde, zu Liebhaberstücken geworden. Ersatzteile findet Gery über eine deutsche Website. Seine Kunden sind all jene, die mehr von Bali sehen wollen als die Nachtclubs von Kuta und die weißen Palmenstrände von Jimbaran.
Von Ubud, einem malerischen Städtchen im Zentrum der Insel startet er morgens mit seinen Gästen, immer in Richtung Berge. Oberhalb des Siedlungsraumes ist fast ganz Bali Nationalpark. Die Insel ist durchzogen von Vulkanbergen. Höchster Gipfel ist der Gunung Agung mit 3142 Metern. Die Tour führt bis auf 1400 Meter, wo die Luft angenehm frisch ist. Nach dem Reifenintermezzo geht es weiter über einen schmalen Feldweg, der sich durch Reisterassen windet. Den Ellbogen aus dem Fenster hängen, den Fahrtwind in den Haaren und jedes Schlagloch in der Wirbelsäule spüren. Klimaanlage und Sicherheitsgurte? Das ist was für Weicheier. Gery bietet das unbehandelte Bali. Nicht den Souvenirmarkt mit Touristenkitsch, sondern den Wochenmarkt im Bergdorf Plekin. Rohes Fleisch, klumpenweise und von Fliegen umschwirrt, gehört dort ebenso ins Bild wie Berge aus Früchten wie Mangos, Papayas, Maracuja, Mangostinen und die roten stacheligen Rambutans. Eine junge Frau hackt mit einer Axt eine riesige Jackfrucht in mundgerechte Stücke, frisch und süß, der Saft tropft von den Fingern.
Am nächsten Stand verkauft ein alter Mann das Lieblingslaster der Insulaner - die Bethelnuss. Sein zahnloses Lächeln und die dunkelrot verfärbten Lippen verraten, dass er selbst der berauschenden Nuss zugetan ist. Gery kauft ein: Bethelblätter, Bethelnüsse, Kalk, gepresste Rinde. Mit seinem Taschenmesser schabt er von der Nuss kleine Stückchen ab, krümelt etwas Kalk und Rinde darüber und verpackt alles in einem Bethelblatt zu einem handlichen Päckchen und bietet es an. Der einzige Freiwillige in der Gruppe vermeldet außer einer braunroten Zunge und einem bitteren Nachgeschmack keine nennenswerten Erkenntnisse.
Am Nachmittag ein Zwischenhalt bei einem Tempel, der in einem Muskatnussbaumwald liegt. Ein mystischer Wald, mächtige Baumsäulen, die über 40 Meter hoch in den Himmel ragen, jahrhundertealt. Man fühlt sich klein und ein bisschen wie im Dschungelbuch, zu Besuch beim Affenkönig Louie. Über 700 freche Langschwanzmakaken leben hier in den Baumwipfeln. Sie turnen auf den Ästen herum. Schon sitzt einer auf Gerys Schulter. "Den Affen nie die Zähne zeigen", nuschelt Gery, "das verstehen sie als Drohgebärde." Vor wenigen Wochen, erzählt er später, tobte im Wald tagelang der Affenkrieg. Die Tiere bissen sich in Gesicht und Schwanz. Der Grund: Grenzverletzungen zwischen den Ost-, West- und Mittelaffen.
Kurz vor Sonnenuntergang wird der Tempel Tanah Lot im Westen der Insel erreicht. Er liegt an einem der vielen schwarzen, vulkanischen Strände. Ein berühmter Hindu-Priester ließ ihn im 15. Jahrhundert erbauen. Die Tempelruinen liegen zum Teil auf Felsen im Wasser. Es ist ein archaischer Ort. Plötzlich durchschneidet ein Zischen die träge Ruhe. Traum oder Wirklichkeit? Eine schwarz-weiß gestreifte Schlange windet sich keinen Meter entfernt durch die Luft, aufgehängt am Arm eines grinsenden Balinesen. Die seien extrem giftig, erklärt er, während sich das Tier um seinen Arm schlängelt. Ihr Biss tödlich, ein Gegenserum nicht bekannt. Aber es seien heilige Schlangen, weil sie den Tempel Tanah Lot bewachen. Sein Angebot, den Touristen das Tier für ein Foto um den Hals zu hängen, lehnen diese dankend ab. Man soll die Götter nicht in Versuchung führen.